Wie Hundertwasser nach Uelzen kam

Dem Bahnreisenden, der die Strecke Hamburg-Hannover befährt, begegnet genau auf halbem Wege ein architektonisches Kleinod: der Bahnhof Uelzen. Der erste Uelzener Bahnhof, eine kleine provisorische Baracke, bestand als Zwischenlösung bis 1855 und wurde dann durch einen Bahnhof im Tudor-Stil ersetzt. Als 1873 der Streckenabschnitt Salzwedel – Soltau der »Amerika-Linie« eröffnet wurde, war ein zweites Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft notwendig, da die beiden Strecken von unterschiedlichen Bahngesellschaften betrieben wurden. Mangelnde Koordination der Fahrpläne und fehlende Übergänge zum jeweils anderen Bahnhof machten ein gemeinsames Gebäude notwendig. Der Architekt Hubert Stier, der auch die Bahnhöfe in Hannover, Bremen und Hamburg-Altona gebaut hatte, wurde mit dieser Aufgabe betraut. 1887 wurde das neue Gebäude – auf Drängen des Uelzener Magistrats in Insellage zwischen den Bahngleisen – eingeweiht. Die alten Gebäude wurden nach und nach abgerissen oder umgesetzt, das letzte 1980.

Mit der Teilung Deutschlands wurde die Trasse Berlin-Bremen gekappt, lediglich die "Heidestrecke" über Wittingen – Gifhorn bis Braunschweig und Regionalzüge über Soltau nach Bremen verkehrten auf den alten Gleisen. Erst vor wenigen Jahren ist die Lücke wieder geschlossenen worden. Der Bahnhof, in den 60er Jahren umgebaut, verkam in den darauffolgenden Jahren – für eine grundlegende Renovierung des inzwischen denkmalgeschützten Gebäudes fehlten die finanziellen Mittel.

Drei Umstände trafen Ende der 90er Jahre zusammen: Eine Journalistin veröffentlichte in einer überregionalen Tageszeitung unter der Überschrift „Nebel, Geister, Hunger und Durst“ in pointierten Worten ihre Erlebnisse an einem Dezemberabend auf dem Uelzener Bahnhof – ihrer Meinung nach ein Tor zur Hölle. Bei den Vorbereitungen auf die Expo 2000 standen in Uelzen zwei Ideen im Raum: eine konventionelle Bahnhofssanierung oder eine Ausstellung von Werken des Wieners Künstlers Friedensreich Hundertwasser im benachbarten Schloss Holdenstedt. Diesmal war es ein Leserbriefschreiber, der vorschlug, beide Vorhaben zu verknüpfen. Die dritte Fügung war ein Team, in dem drei Ratsmitglieder aus unterschied­lichen Parteien über den Leserbriefvorschlag diskutierten und beschlossen, diesen umzusetzen.

Zunächst wurde der Bahnhof mit Fotos dokumentiert. Relativ schnell konnten sowohl Hundertwasser als auch die Deutsche Bahn AG für das Projekt gewonnen werden – buchstäblich in letzter Minute konnte das Vorhaben als Expo-Projekt zertifiziert werden. Friedensreich Hundertwasser, in Neuseeland ansässig, entwarf ein Modell, das die Vorlage für den Umbau darstellte.

Gerade am Bahnhof Uelzen waren dabei einige Schwierigkeiten zu bewältigen: Da das Ge­bäude von Hubert Stier unter Denkmalschutz steht, durften z.B. weder der Grundriss verändert werden, noch durfte der Fries unterhalb der Dachkante durch die Säulen an den Außen­ecken verdeckt werden. Stahlstäbe, die die Säulen mit den goldenen Kugeln optisch ver­binden, brachten die Lösung.

Die Architektur Hundertwassers erschließt sich aus seinen Paradigmen, die er in verschiedenen Manifesten postuliert und in seiner Architektur umgesetzt hat. Beispielhaft sei hier das Ver­bot der geraden Linie erwähnt, die in der Natur nicht vorkomme und von daher ungöttlich sei. Die Handwerker waren deshalb gehalten, alle geraden Linien zu vermeiden und alle Ecken abzurunden – gültige Baunormen mussten dafür zum Teil außer Kraft gesetzt werden. Das Ergebnis ist ein Gebäude, das in seinen Farben und Formen einen eigenen Charme entwickelt, der Jahr für Jahr viele tausende Besucher fasziniert.
(Autor: Andreas Heinen)