Aus dem Archiv

Aus dem Archiv: Von der Schul- zur „Heldenorgel“

Am 3. August 1904 zog das städtische Realgymnasium in seinen Neubau an der Schillerstraße ein. In der Aula der Schule wurde in diesem Jahr auch eine kleine Orgel mit sechs Registern eingebaut, die für schulische Veranstaltungen vorgesehen war. 1936 wurde die Aula grundlegend renoviert und in diesem Zusammenhang die kleine Orgel durch eine größere ersetzt. Dabei wurden die Pfeifen wie auch der Prospekt in den neuen Orgelbau integriert. Die neue Orgel besaß nun stattliche 20 Register und wurde vom Kantor der Thomaskirche zu Leipzig, Professor Ramin, am 15. Januar 1937 eingeweiht. Das Besondere der Orgel war, dass in den Pfeifen der „Vox celestis“ (eines zartschwebenen Registers im Schwellwerk) die Namen der im Ersten Weltkrieg 124 gefallenen Schüler und Lehrer der Schule eingraviert worden waren. Die Orgel wurde damit gleichzeitig zum Denkmal. Als weiteres wurde vor der Pfeifenreihe ein namenloses Holzkreuz „vom flandrischen Schlachtfeld“ aufgebaut, das vom amtlichen Kriegsgräberdienst in Belgien zur Verfügung gestellt worden war. Es stand auf einer Urne, die mit Erde aus Langemark befüllt war. Hier hatte im Herbst 1914 die erste große wie verlustreiche Schlacht in Flandern stattgefunden, die bereits während des Ersten Weltkrieges propagandistisch zum Mythos verklärt worden war. Die Mutter eines in Langemark gefallenen und beigesetzten Schülers aus Uelzen hatte die Erde vom dortigen Friedhof 1936 mitgebracht. Die neue Gestaltung der Orgel ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass mit dem Gedenken an die gefallenen Soldaten nicht gleichzeitig an die Schrecken des Krieges erinnert werden sollte, sondern dass es sich um die Verherrlichung eines vermeintlichen Heldentotes handelte. Die Schüler sollten in diesem Sinne erzogen werden.

Die Heldenorgel in der Schulaula des ehemaligen Realgymnasiums.

Der Erweiterungsbau der Orgel war mit Hilfe einer umfangreichen Spendenaktion zustande gekommen. Schüler, Lehrer, zahlreiche Bürger und Firmen der Stadt, die Stadt und der Kreis Uelzen sowie die Klosterkammer Hannover hatten sich beteiligt. Die „Umnutzung“ der Orgel zeigt deutlich, dass während des Nationalsozialismus das Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges zunehmend für die nationalsozialistische Ideologie instrumentalisiert und missbraucht wurde. So fanden in der Aula der Schule auch Veranstaltungen anlässlich des „Heldengedenktages“ statt, der 1934 als gesetzlicher Feiertag eingeführt worden war. Ab 1939 wurde er am Sonntag um den 16. März, den Tag der Wiedereinführung der Wehrpflicht, begangen. Anlässlich des „Heldengedenktages“ 1938 wurde vom Kirchenmusiker Friedrich Gehring, der in Uelzen zu Schule gegangen war, eigens für diese Orgel eine „Deutsche Ode“ komponiert und aufgeführt.

Motiviert durch die große Anteilnahme und Spendenfreudigkeit der ersten Umbauaktion wurde bereits 1938 beschlossen, mit einem weiteren Spendenaufruf noch vorhandene Klanglücken mit einem neuen, moderneren Prospekt zu schließen. Studienrat Dr. Hugo Werner übernahm erneut die Initiative für die Spendensammlung. Der Beginn des Krieges verzögerte die Fertigstellung, aber 1941 konnte ein drittes Werk, das „Kronwerk“,hinzugefügt werden. Hier waren nun auch die Namen gefallener Schüler des Zweiten Weltkrieges zu lesen. Die Orgel wurde bis in die 1960er Jahre für schulische Veranstaltungen genutzt.

Quellen:
Stadtarchiv, II G 126/13, Ausbau des Heldenorgelwerks in der Aula der städtischen Oberschule für Jungen 1937-1942.
Heussmann, Hugo, Die Heldenorgel in der städtischen Oberschule für Jungen in Uelzen, in: Der Kreis, Nr. 10 und 11 vom 28.7. und 3.8.1949.
Kukureit, Jan, Die Schulorgel des Herzog-Ernst-Gymnasiums, in: Der Heidewanderer, 1994, Nr. 11, S. 41-43.
Werner, Hugo, Gefallenenehrung im Realgymnasium zu Uelzen (Hannover), in: Kriegsgräberfürsorge. Mitteilungen und Berichte vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge, 1937, H. 4, S 61-63.
Foto: Schulorgel des Realgymnasiums, um 1940, Stadtarchiv Uelzen.