In den letzten Kriegsmonaten nahmen die alliierten Bombardierungen auf Deutschland zu. Die Luftangriffe sollten neben der Zerstörung der Infrastruktur und wichtiger Industrie auch eine Demoralisierung der Bevölkerung bewirken, um das Ende der NS-Herrschaft herbeizuführen. Ein schwerer Luftangriff auf Uelzen , der wie schon 1944 den Güterbahnhof anvisierte, erfolgte am 22.2.1945. In der Mittagszeit wurden in etwa 10 Minuten 300 bis 400 Sprengbomben auf das Gebiet des Güterbahnhofs abgeworfen, der dabei völlig zerstört wurde, wie auch ein Teil der Gleisanlagen des Personenbahnhofs, die Eisenbahnbrücke über der Bahnhofstraße und 95 Wohnhäuser. Der Angriff kostete 149 Menschen das Leben.1 Nach diesem Angriff waren die Einwohner tief verunsichert, wie im Erfahrungsbericht des Bürgermeisters vom 5. März 1945 festgestellt wurde. Bürgermeister Farina betonte, dass sich das Verhalten der Bevölkerung nach dem Luftangriff vom Februar komplett verändert
habe. Früher habe die Bevölkerung Alarmmeldungen nicht allzu ernst genommen, aber nun suche jeder einzelne „meistens schon bei Kleinalarm, schnellstens die LS-Räume auf, ohne sich erst vorher durch die Polizei dazu auffordern zu lassen. Ja, dieser Angriff hat Teile der Bevölkerung so in Angst versetzt, dass sie schon bei Kleinalarm fluchtartig die Stadt verlassen und sich in der Umgebung in Sicherheit bringen. Diesem Verhalten wurde von Seiten der Polizei entgegengetreten. Die meisten erklärten jedoch, dass sie sich im Freien sicherer fühlen. Hier tritt also klar das völlige Fehlen von öffentlichen bombensicheren Bunkern und LS-Räumen in Erscheinung. Leider lässt sich dieser folgenschwere Umstand heute nicht mehr beheben.“2 Offensichtlich hatte man sich lange Zeit so sicher gefühlt, dass Vorsorgemaßnahmen für die Bevölkerung keine hohe Priorität besaßen, was sich nun bitter rächte.
(Brennender Kirchturm St.-Marien Kirche 1945 - Bild Stadtarchiv)
Ein weiterer Luftangriff, der großen Schaden verursachte, erfolgte am 7. April. Etwa 20 Flugzeuge warfen circa 50 Sprengbomben ab und trafen u.a. den Personenbahnhof. Es gab mehrere Tote und Verletzte und stärkere Schaden an verschiedenen Bahnhofsgebäuden. Ferner wurde schwerer Schaden am Wasserwerk gemeldet. Für die Aufräumarbeiten all dieser Schäden wurden circa 500 Häftlinge des KZ-Neuengamme herangezogen. Die Häftlinge wurden eigens zu diesen Zwecken nach Uelzen verlegt und in einer Halle auf dem Gelände der Zuckerfabrik untergebracht.3 Der Güterverkehr kam mit dem Näherrücken der Alliierten fast zum Erliegen. Am 11. oder 12. April kamen jedoch noch zwei Sonderzüge (Panzer der Waffen-SS) in Uelzen an, die bis zum 12.4. im Stadtgebiet östlich des Bahnhofs in Stellung gingen, um „eine Abwehrfront herzustellen“.4 Nach Vorstellung der deutschen Kriegsleitung sollte Uelzen unbedingt einige Tage gehalten werden. Vor dem Hintergrund unrealistischer strategischer Überlegungen, einer ideologisch verblendeten Führungsmannschaft um Hitler und einer auf absoluten Gehorsam eingestimmten militärischen Führungselite wurden in diesen Wochen neue Verbände aus dem Boden gestampft. Es wurden um Uelzen neue Einheiten postiert, die die Niederlage nur etwas hinauszögerten. Die Bevölkerung musste dafür einen hohen Preis bezahlen.5
Für die Uelzener Einwohner wurde die Situation immer unerträglicher. Die Apriltage waren unruhig durch die zahlreichen Fliegerangriffe. Die Bevölkerung litt zusätzlich unter den Stromausfällen und den unzureichenden und einseitigen Lebensmittelzuteilungen. Gertrud Polchow (geb. Stiebig), die damals als Fotolaborantin im Fotogeschäft Tegeler angestellt war, hielt die letzte Kriegszeit in Uelzen sowohl fotografisch als auch mit Tagebucheinträgen fest. Am 16. April fotografierte sie den brennenden Turm von St. Marien.6 Am 17. April überschlugen sich die Ereignisse, aber noch wurde die Stadt nicht eingenommen. Morgens wurde der Artillerie-Hauptmann Erich Marquardt in einem Bunker in der Nähe des Clubhauses nach einer Denunziation verhaftet. Der Hauptmann, der an Gefechten um Stadensen teilgenommen hatte, war vor Erschöpfung einen Moment eingeschlafen. Er wurde mittags im Garten des Clubhauses im Beisein des stellvertretenden Kreisleiters Schneider standrechtlich erschossen. Parallel zu diesem Ereignis wurde von alliierter Seite (mehrmals) versucht, die Deutschen zur kampflosen Übergabe der Stadt zu bewegen. Der Dolmetscher Kurt Altner, der in Veerßen lebte, das bereits von den Truppen der Royal Army eingenommen worden war, wurde von diesen mit der Aufgabe betraut, zum deutschen Stadtkommandanten zu gehen. Bis um 14 Uhr nachmittags sollte eine Feuerpause eingelegt werden. Altner wurde in der Veerßer Straße verhaftet und im Clubhaus unter militärische Bewachung gestellt. Nach längerer Zeit wurde er vom Kreisleiter Schneider zur Rede gestellt, der ihm Landesverrat vorwarf und dass er sich darauf einzustellen habe, entsprechend behandelt zu werden. Uelzen würde verteidigt bis zum letzten Mann, auch wenn es dabei vernichtet würde.7 Gleichzeitig wurde der Luftschutzführer Dr. Hövermann ins Clubhaus bestellt und aufgefordert, die Ilmenaubrücke zu sprengen, was dieser mit dem Hinweis, keinen Sprengstoff zu besitzen, umgehen konnte. Der Volkssturm sollte die Brücke nun mit Hacken und Äxten zerstören. Diese idiotische Arbeit wurde sogar noch, aber mit erwartungsgemäß geringem Erfolg, begonnen.8 Der für die Verteidigung verantwortliche Oberst sowie der Kreisleiter setzen sich in der Dunkelheit aus Uelzen ab.9
In den frühen Morgenstunden des 18. April traten die Briten zum Angriff an, der mit starken Artillerieschlag begonnen wurde. Der deutsche Widerstand war nur noch gering, aber dennoch vorhanden. Deshalb begannen Panzer und Flammenwerfer die Häuser in Brand zu setzen, bevor Infanteristen die Straßen durchsuchten.10
In der Stadt wurden 1382 Gebäude durch Kriegseinfluss getroffen, Wohnungen und Geschäfte mit den dort lagernden Waren vernichtet.11 Gegen 17 Uhr nahmen die Briten die Zuckerfabrik ein, und somit war die gesamte Stadt besetzt. Der Krieg war in Uelzen zu Ende.
1Egge 2005, S.17.
2Stadtarchiv IV F Fach 148/Nr. 21.
3Banse 2015, S. 18-23., Stadtarchiv, Bericht Stadtwerke vom 9.4.45.
4Stadtarchiv, IV F Fach 148/ 21 Bericht, S. 15.
5Vgl. Egge, a.a.O., S. 25 ff., Bündnis gegen Rechts Uelzen 2013, S. 106-107, Niemann 2017, S. 134-158.
6Geschichtswerkstatt Uelzen 2015, S. 9.
7Woehlkens 1972, S. 66.
8Ebd., S. 66-67.
9Egge 1985, S. 123.
10Niemann 2017, S. 151.
11Egge 1985, S. 133.
Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Uelzen, Akten der Magistratsverwaltung, IV F, Fach 178 Nr.21, 21a,22
Banse, Dietrich: Das Außenlager Uelzen des Konzentrationslagers Neuengamme, 2. Aufl., hrsg. V.
Geschichtswerkstatt Uelzen e.V., Uelzen 2015.
Bündnis gegen Rechts Uelzen (Hg): Uelzen im Nationalsozialismus. Wege gegen das Vergessen, Uelzen 2013.
Egge, Reimer: Vom Stresemann zum Braunhemd. Uelzen 1918-1948, Uelzen 1985.
Ebd., 60 Jahre Kriegsende in Uelzen. Ereignisse-Verluste-schäden, Uelzen 2005.
Geschichtswerkstatt Uelzen e.V. (Hg): Uelzen 1945 – Kriegskinder erzählen. Erzählcafe am 12. Juni 2015, Uelzen 2017.
Niemann, Eckehard: Nationalsozialismus im Landkreis Uelzen, Bd. 3, Varendorf 2017.
Woehlkens, Erich: Uelzen in den letzten Kriegstagen. Dokumente, Berichte, Aussagen und Fotos zur „Schlacht um Uelzen“ vom 13. Bis 18. April 1945, in: HK 1972, S. 57-72.